Pforzheim ist hässlich? Get on it!

Warum wir uns selbst einmal an den Kopf fassen sollten, wenn wir das nächste Mal über Pforzheim schimpfen.

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Eine der praktischen Funktionen der Suchmaschine Google ist die automatische Vervollständigung von Suchanfragen. Google nutzt dabei die ersten vom Nutzer eingegebenen Suchbegriffe, um daraus eine Prognose für die möglicherweise gesuchte Suchbegrifflichkeit zu erzeugen.

Gibt man die Suchbegrifflichkeit „Pforzheim ist“ ein, passiert folgendes:

Der „Pforzheim-Kritiker“ wird sich bei diesen Vervollständigungsversuchen von Google bestätigt sehen und frohlocken, dass man doch schon immer dieser Meinung gewesen sei. Können so viele Suchende tatsächlich irren?

Dass die automatische Vervollständigung bei der Bewertung der Lebensqualität von Städten eher wenig Aussagekraft hat, sieht man am einfachsten, wenn man anstatt der Frage, wie Pforzheim sei, einfach einige andere Städte ausprobiert. So kommen dann auch unsere Nachbarn gar nicht so schön weg. Karlsruhe?

Auch mit der Landeshauptstadt Baden-Württembergs sieht es bei den ersten automatischen Vervollständigungen nicht wirklich besser aus:

Und selbst das beschauliche Freiburg, das in nicht wenigen Erhebungen zu den schönsten und lebenswertesten Städten Deutschlands gehört, hat augenscheinlich so seine lieben Mühen, seinen guten Status auch bei den Suchanfragen zu halten:

Nun sind solche automatischen Suchvervollständigungen selbstverständlich keine repräsentativen Umfrageergebnisse, sondern in erster Linie Produkte von mehr oder weniger ernst gemeinten Suchanfragen und eher aus der Kategorie der selbst erfüllenden Prophezeiungen. Wer sich schließlich lange genug sagen lässt, dass man hässlich sei, glaubt das (je nach Selbstwertgefühl) vielleicht auch nach mehreren Anläufen immer noch nicht, dennoch ist der nächste Blick in den Spiegel besonders kritisch.

Pforzheim ist hässlich? Get on it!

Unlängst hörte ich in einer Diskussion den Satz eines Studenten der Hochschule Pforzheim:

„Ich hasse Pforzheim. Ich habe noch nie eine solche Betonstadt gesehen, es ist alles grau.“

Diese Feststellung traf einen Nerv bei den Mitdiskutierenden und auch bei mir, auch wenn die Aussage zunächst unkommentiert blieb. Ist Pforzheim aber tatsächlich eine „graue Betonstadt“? Ein Blick aus x-beliebigen Fenstern an den Hängen der Pforzheimer Täler spricht eine andere Sprache. Hier ein Blick aus einem Fenster in der Südstadt, keine 900 Meter vom Marktplatz entfernt:

Tatsächlich ist eine Herausforderung, an einer Kreuzung in Pforzheim nicht irgendwo am Horizont Wald oder zumindest Grün zu sehen. Der touristische Beiname Pforzheims, die „Pforte zum Nordschwarzwald“ zu sein, ist keine abstrakte Behauptung, sondern tatsächlich Programm. Läuft der Wanderer vom Hauptbahnhof die Bahnhofstraße in Richtung Kupferhammer, dem offiziellen Startpunkt der wichtigsten Schwarzwald-Wanderwege, dann beginnt der Schwarzwald optisch gesehen schon hinter der Leopoldstraße.

Und überhaupt: Welche Stadt hat drei Flüsse? Laut der deutschen Wikipedia teilen sich gerade einmal zehn weitere Städte in Deutschland diese geografische Besonderheit, die sich besonders im Sommer angenehm bemerkbar macht. Gut 20 Flusskilometer (ohne die gesonderte Einbeziehung von begleitenden Kanälen) verteilen sich auf eine Stadtfläche von gerade einmal 98 Quadratkilometern, von denen wiederum satte 51 % von Wald bedeckt sind (und da sind nicht als Wald deklarierte Grünflächen nicht eingerechnet).

Small is beautiful

Ein Pforzheimer Unternehmer berichtete vor einer Weile, wie er händeringend eine Fachkraft suchte und in seiner Verzweiflung einen potentiellen Kandidaten, der mit einem Umzug nach Pforzheim haderte, für ein Wochenende einlud und ein umfangreiches Besuchsprogramm in Geschäften, Museen und der Landschaft rund um Pforzheim abspulte. Das Ergebnis dieses Besuchsprogrammes war eine Zusage des Bewerbers und dessen Bemerkung: „Eigentlich lebt ihr hier im Paradies.“

Und in der Tat funktioniert bei uns vieles, was in anderen Städten viel längere Wege bedeuten würde. Die Innenstadt ist von vielen Stadtteilen fußläufig zu erreichen, wir haben eine gar nicht so schlechte Kneipenlandschaft, ein für eine Stadt unserer Größe überragendes Kulturprogramm das ganze Jahr hindurch, was sich in diversen Kulturkalendern zeigt.

Darauf lässt sich aufbauen und darauf müssen wir auch aufbauen. Die Aufenthaltsqualität in Pforzheim ist ein berechtigtes Thema – aber auch ein lösbares Thema, wenn man das auch wirklich will. Der beginnende Umbau der Fußgängerzone ist ein solcher Schritt und das Projekt Innenstadt-Ost ebenfalls. „So wie früher“ wird Pforzheim nie werden, aber ist das unbedingt ein schlechtes Omen?

Bei der Frage, was ein Paradies ist, schwingt nur augenscheinlich die Frage mit, so das „eigentliche“ Paradies ist, sondern vielmehr, was für uns ein Paradies eigentlich darstellt. Warum meckern wir so gern über unsere Heimat, die Besucher gar nicht so schlecht finden? Warum können wir außerhalb Pforzheims über wirklich schlimme urbane Zustände schimpfen und uns aber nicht eingestehen, dass wir davon in unserer eigenen Heimat weitgehend unbehelligt sind?

Einfach zu sprechen wie der „klassische Wutbürger“, man wolle solche Zustände eben nicht in Pforzheim, ist zu plump. Man bewertet die Milch ja nicht automatisch schlecht, nur weil sie sauer wird, wenn man sie schlecht oder zu lange lagert.

Wir müssen selbst an uns arbeiten und sollten begreifen, dass wir nicht nur außerhalb Pforzheims zu unserer Stadt stehen sollten, sondern auch innerhalb. Nicht die Stadt ist für uns da, sondern wir in ihr. Ein kleinwenig mehr Zu-Pforzheim-Stehen, kann uns allen nicht schaden und wenn wir alle zusammen an dieser Stadt arbeiten, wird sie am ehesten so lebenswert, wie wir uns es vorstellen.

Besim Karadeniz
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Besim Karadeniz (bka), Jahrgang 1975, ist Autor und Erfinder von PF-BITS seit 2016. Er ist beruflich selbstständiger Web-Berater und -Entwickler. Neben PF-BITS betreut er mehrere weitere Online-Projekte und kann auf einen inzwischen über 25-jährigen Online-Erfahrungsschatz zurückblicken. Neben der technischen Betreuung von PF-BITS schreibt er regelmäßig Artikel und Kolumnen und ist zuständig für den Kontakt zu Partnern und Autoren.