
Der öffentlich gemachte Brief von Oberbürgermeister Peter Boch an die Landesregierung mit der Forderung, auch Öffnungen wie in Tübingen durchführen zu können, ist eine Farce.
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Unerfüllbare politische Forderungen zu stellen, ist auf den ersten Blick ein dankbares Geschäft. Man kann fordern, was man möchte, aber da man weiß, dass die Forderung nicht erfüllt wird, muss man weder konstruktive Planungen forcieren, noch hat man den Schwarzen Peter an der Backe, wenn die Forderung dann, wie erwartet, abgelehnt wird.
So eine Forderung ist der an die Landesregierung formulierte Wunsch von Oberbürgermeister Peter Boch, auch Modellstadt für ein „Öffnen mit Sicherheit“ zu werden, so wie Tübingen es ist. Hier müssen Menschen, die in der Innenstadt einkaufen oder Dienstleistungen nutzen wollen, einen tagesgültigen Schnelltest vorweisen, der auch vor Ort vorgenommen werden kann. Dann aber haben Getestete vielfältige Möglichkeiten, selbst Besuche der Außenbereiche der Gastronomie sind möglich, aber auch der Besuch von Kulturbetrieben.
Ob es funktioniert? Man weiß es nicht. Aber darum ist das auch ein individuell vom Land genehmigter Pilotversuch, der im übrigen auch wissenschaftlich von der Universität Tübingen begleitet wird. Es ist also kein Spaß, den sich Oberbürgermeister Boris Palmer da ans Bein gebunden hat, denn ob die gesamte Geschichte in Tübingen ein Erfolg wird zu einer Zeit, wo sich im gesamten Mitteleuropa die dritte Welle der Corona-Pandemie aufbaut, steht vollkommen in den Sternen. Würde das Projekt in der Form fehlschlagen, dass es das Infektionsgeschehen in Tübingen dramatisch steigerte oder gar Todesopfer auf diese Rechnung gehen, hätte Palmer einen Druck, den nur die wenigsten Oberbürgermeister freiwillig eingehen.
Tübingen hat die Hausaufgaben gemacht.
Pforzheim auch?
Klar ist aber auch, dass „Öffnen mit Sicherheit“ in Tübingen eine Menge Vorarbeit und Planungen hinter sich hat. In der Verwaltung, im Gemeinderat, in den Medien, in der Wissenschaft, in der Stadtgesellschaft und letztlich auch in Gesprächen mit Landesbehörden. Hier haben sich also Leute bereits vor Monaten die Mühe gemacht, an so einem Projekt zu arbeiten.
Dass OB Boch jetzt mit viel Brimborium einen Brief veröffentlicht, den er an die Landesregierung geschickt hat mit der Bitte, auch so wie Tübingen sein zu dürfen, ist ein abgekartetes Spiel, das auch postwendend eindeutig beantwortet wurde. Das Tübinger Projektmodell werde nicht umsonst als „Pilotversuch“ durchgeführt und auch nicht ohne Grund wissenschaftlich begleitet, so dass es keinerlei Raum gebe, dass Pforzheim mal eben so geschwind auch die Tore öffnen könne.
Dass jetzt Boch in Social Networks Jubel einheimst von Menschen, die dem Lockdown überdrüssig geworden sind und sich generell eine Lockerung des Lockdowns wünschen – wer wünscht sich das nicht – ist mit großer Sicherheit so auch das Hauptziel der Aktion gewesen. Und das ist schlimm. Denn hier wird auf den Ängsten und Sehnsüchten der Menschen versucht, politisches Kapital zu bilden und es ist vermutlich ein großes Glück, dass überregionale Medien diese peinlichen provinzpolitischen Schachzug nicht aufgreifen, auf den heute im übrigen per Pressemitteilung auch noch erwartungsgemäß die FDP/FW/UW/LED-Fraktion aufgesprungen ist. Steht dann schön in den Samstagsausgaben der Lokalpresse.
Politisch nachhaltig ist aber weder der Brief des OB, noch die Reaktionen dazu aus dem Land und aus der Stadtgesellschaft. 15 Minuten Ruhm, gleich schon wieder vergessen. Was aber bleibt, ist ein weiterer Splitter Politikverdrossenheit darüber, dass „die da oben“ angeblich keine Öffnung wollten, „die anderen dürfen aber“. Genau das ist aber eben nicht die Wahrheit.