„Erinnern tut gut“ – Marianne Birthler im Studium Generale

Islamwissenschaftlerin Professorin Dr. Amirpur zu Besuch im Studium Generale der Hochschule Pforzheim, von links: Prof. Dr. Frauke Sander, Rektor Prof. Dr. Ulrich Jautz, Prof. Dr. Katajun Aminpur sowie Prof. Dr. Christa Wehner (Foto: Hochschule Pforzheim/Cornelia Kamper)

Ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen beschließt mit Ihrem Vortrag zum Mauerfall vor 30 Jahren das Studium-Generale-Jahr der Hochschule Pforzheim.

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Im sehr gut gefüllten Walter-Witzenmann-Hörsaal (Audimax) der Hochschule Pforzheim hat Marianne Birthler, ehemalige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, am Mittwoch, 4. Dezember 2019, zum Thema „Revolution und Mauerfall – 30 Jahre danach“ eine Bilanz der Wiedervereinigung gezogen und dabei auch ganz persönliche Einblicke in ihre bewegte Biografie gewährt. Die wissenschaftliche Leiterin des Studium Generale, Professorin Dr. Frauke Sander, erinnerte sich bei der Vorstellung Birthlers, dass der Mauerfall und die Wiedervereinigung Deutschlands wenige Monate vor dem 9. November 1989 noch undenkbar schienen.

Der Tag, an dem die Berliner Mauer fiel, sei allen, die ihn erlebt haben, in guter Erinnerung. „Erinnern tut gut. Jeder weiß noch, was er damals gemacht hat und wo er war“, sagt Marianne Birthler. Das Thema bewegt sie. Nicht nur, weil sie elf Jahre lang die Behörde leitete, die lange ihren Namen trug. Nein, auch weil sie als Oppositionelle in der damaligen DDR in der Bewegung in der Gethsemanekirche Berlin und später am Runden Tisch Wende und Wiedervereinigung hautnah miterlebt hat. Sie nimmt das Publikum im Audimax mit auf eine Zeitreise ins Jahr 1989.

Der 9. November als Symbol für die Überwindung der deutschen Teilung

Der 9. November 1989 ist zum Symbol für die Überwindung der deutschen Teilung und den Fall des Eisernen Vorhangs geworden. „Aber nicht erst dann. Schon vorher hatten im damaligen Ostblock Ereignisse wegweisenden Charakter. Denken Sie an Solidarność in Polen. Aber auch in der DDR brodelte es, als die Kommunalwahlen am 7. Mai sich als gefälscht herausstellten. Gleichzeitig blickten wir in eine bange Zukunft, denn wir mussten mit Entsetzen zusehen, wie das kommunistische Regime in China Proteste im Juni ´89 blutig niederschlug.“ Dass es dann zur friedlichen, unblutigen Revolution kam, sei dem Mut der Menschen zuzuschreiben gewesen. Hinzu kamen glückliche Umstände. „Gorbatschow hatte die Breschnew-Doktrin außer Kraft gesetzt, es flohen bereits viele Menschen über Ungarn und andere Wege – und die Wirtschaft lag am Boden. Tja, ein Jahr später gab es die DDR nicht mehr“, erzählt die 71-Jährige.

Vielleicht wäre es besser gewesen, alles mit mehr Zeit umzusetzen. „Aber mal ehrlich: Die Ostdeutschen wollten die D-Mark, wollten das hohe Tempo damals. Bei vielen wich die Begeisterung dann aber schnell. Vielen blieb ein Gefühl der Zweitklassigkeit. Das zeigte sich in den hohen Wahlergebnissen für die Linkspartei. Heute wählen viele der Enttäuschten die AfD“, bedauert Birthler. Dies sei jedoch nicht alles den Nachwehen der Wiedervereinigung zuzuschreiben. Auch eine gewisse Überforderung mit Auswirkungen der Globalisierung sowie eine zunehmende Unzufriedenheit mit der Politik seit der Finanzkrise seien Ursachen. „In manchen Aspekten spürt man immer noch die Auswirkungen der Zugehörigkeit zum Ostblock. Denn anders als im Westen gab es keinen Versöhnungsprozess Ostdeutschlands mit den westlichen Alliierten. Manches war aber auch positiv im Osten. Wir hatten in der DDR einen ganz bestimmten Eigensinn“, erinnert sich Birthler.

Heute genieße sie wie die meisten Bürger in Ostdeutschland die Freiheit. „Man kann sich einen politischen Witz erzählen, ohne sich vorher umsehen zu müssen. Die Seen und Flüsse sind sauber und man kann überall baden.“ Dass nicht alle diese Freiheit gutheißen, wundert sie manchmal. „Müssten nicht gerade diejenigen Anhänger von Demokratie und Freiheit sein, die selbst in einer Diktatur lebten?“

Zum Zusammenwachsen und zur Verteidigung der Freiheit sei die Rückbesinnung auf die Geschichte immer wieder wichtig. „Gerade die Jüngeren von Ihnen werden für Europa noch viel zu leisten haben. Wenn wir uns an diejenigen besinnen, die für die Freiheit ihre Köpfe hingehalten haben. Dann können wir alle ´89er sein“, sagt sie zum Abschluss als Appell an das begeisterte Publikum.

Übrigens: Heute wohnt Marianne Birthler rund 300 Meter von der ehemaligen Mauer entfernt, die damals an der Bernauer Straße in Berlin ein lebendiges Viertel für fast 30 Jahre in zwei Teile schnitt. „Hier mischen sich deshalb so viele verschiedene Gefühle. Bei mir überwiegen die positiven. Der Mauerfall ist Geschichte. Eine gute Geschichte. Eine Weltgeschichte. Eine Erfolgsgeschichte“, freut sich Birthler.

Quelle(n): pm

Besim Karadeniz
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