Sie sind schon gemeinsam durch Schlamm gerobbt und haben so manchen Hindernislauf hinter sich gebracht. Nichts gegen 100 Kilometer Wanderung am Stück. (Lesezeit: 6 Minuten)
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Wenn gute Wanderer 20 bis 25 Kilometer am Tag laufen und schon mit dieser Kilometerleistung viele Fußgänger locker hinter sich lassen – wie sieht es erst mit 100 Kilometern aus, die in 24 Stunden bewältigt werden müssen? Dieser Herausforderung stellen sich Tanja Averna und ihre Freunde und Crosstraining-Kollegen Michael, Coni, Rene und Jens die sich am Samstagmorgen nach Stuttgart begeben. Im Großraumtaxi lassen sie sich von Pforzheim zum Daimler-Benz-Museum bringen; dort auf dem Vorplatz startet für sie um 12:30 Uhr der „MegaMarsch“. Der MegaMarsch ist eine Wanderung über 100 Kilometer, die in 24 Stunden zurückgelegt werden muss. Dazu haben die Organisatoren einen Wanderweg rund um Stuttgart ausgeschildert, der vollständig gelaufen werden muss.
Die fünf Hobbyläufer haben schon gemeinsam unterschiedlichste Hindernisläufe bewältigt wie zum Beispiel das „Spartan Race“ oder den „Strong Vicing-Lauf“. Allesamt keine „Spaziergänge“, haben sie doch dort Matschgräben durchqueren, Baumstämme überwinden, Halfpipes erobern und sind über verschiedene Hindernisse hangeln müssen. Beim Sportverein SV Kickers sind sie im dortigen Crosstraining, um sich auf diese Läufe vorzubereiten. Nur sollte es dieses Mal etwas anderes sein.
Nach der Anmeldung am Mercedes-Benz-Museum – immerhin mit rund 1.500 weiteren Wanderkollegen – geht es um 12:30 Uhr los. „So langsam steigt die Nervosität“, verrät Tanja Averna kurz vor dem Start. Sie war ursprünglich diejenige, die diese Aktion angeregt hat. Nachdem die Rechtsanwalts-Fachangestellte mit Ausbildung zur geprüften Rechtsfachwirtin an anderen, im Vergleich zum heutigen MegaMarsch bisher nur „kürzeren Läufen“ teilgenommen hat, hat sie sich und ihren Freund Michael zu diesem Projekt angemeldet. Die anderen drei sagten dann auch zu, als sie von der Anmeldung hörten. Auf die Frage, warum man sich so etwas antut antwortet sie nur lachend: „Man muss schon verrückt sein, aber es macht unheimlich Spaß.“
Über Stock und Stein, bei Wind und Wetter
Doch an diesem Wochenende zählt nur Strecke. Der Rucksack ist gepackt mit Getränken und kleinen Snacks für zwischendurch, ein Regenumhang ist zur Abwehr von Feuchtigkeit dabei und die Wanderstöcken sollen das Gewicht an Steigungen und Gefällen abfangen und die Gelenke schonen. Einhundert Kilometer sollen es am Ende sein, durch idyllische Weinberge und romantische Täler rund um Stuttgart. Die Veranstalter haben den Rundkurs durchaus anspruchsvoll abgesteckt, der zunächst in Richtung Degerloch führte. Dann ging es über Fellbach und Zuffenhausen nach Remseck am Neckar, dort war dann der Wendepunkt. Der Kappelberg zwischen Fellbach und Kernen im Remstal musste während der Strecke viermal bezwungen werden.
Hier wurden die Wanderer auch gleich zu Anfang von einem Regenguss überrascht. Teilnehmerin Coni, die mit ihrem Mann Rene auch schon den Westweg gewandert ist, schwört normalerweise auf Hirschtalgcreme, die gegen Blasen an den Füßen helfen soll. „Allerdings bringt das nichts, wenn die Schuhe komplett nass sind.“
Unterwegs wurden die Wanderer an drei Stationen mit Erdnüssen, Salzstangen, Toast mit Käse oder Marmelade versorgt und in der Nacht gab es mit einer Linsensuppe auch etwas Warmes. Von Kilometer zu Kilometer füllten sich die 19 leeren Felder des Wanderpasses mit Stempeln der Kontrollstationen. „Langweilig wurde es unterwegs eigentlich nie“, erzählen Tanja und Michael. „Wir hatten immer ungefähr die gleichen Leute um uns rum, die zur gleichen Zeit gestartet sind. Einige holten uns wieder ein und ein paar Kilometer weiter haben wir sie wieder überholt.“ Sie haben unterwegs aber auch Läufer gesehen, die ihre 100-Kilometer-Wanderung abgebrochen hatten und sich mit dem Auto abholen ließen.
Auf die Frage, ob sie denn auch Gedanken über einen Abbruch hatten, zögert Tanja Averna keine Sekunde: „Bei Kilometer 60 haben meine Fußsohlen zwar so gebrannt, das war etwa um 1 Uhr, da hätte ich gerne meinen Taxifahrer angerufen. Aber mit dem Blick auf die zu erwartende Sieger-Medaille ging’s dann weiter. Es war gut, unterwegs andere zu treffen, denen es genauso ging und die auch Schmerzen beim Laufen hatten.“
Als dann schließlich am Sonntag um 12:05 Uhr das Zielgelände vor dem Mercedes-Benz-Museum in Sicht kam, zeigte die Sport-Uhr am Armgelenk sogar 106 gelaufene Kilometer und 2.010 überwundene Höhenmeter. Beim Foto vor dem Zielbogen waren mit der schweren glänzenden Medaille und der handgeschriebenen Teilnehmer-Urkunde alle Schmerzen kurzzeitig verflogen und durch Glücksgefühle ersetzt.
Nach der Tour ist vor der Tour
Zu Hause gab es dann bei Tanja Averna nach dem „Sofortschlaf“ die ersten Nebenwirkungen: „Alle zwei Stunden wachte ich auf wegen Schmerzen an der Hüfte und hatte den ‚Muskelkater des Todes‘ an den Waden und den Oberschenkeln.“ Und in weiser Voraussicht wurde für den Montag auch ein Urlaubstag eingeplant, um sich von der Tort(o)ur zu erholen. In einem ist sie sich gemeinsam mit ihrem Freund Michael sicher: So etwas macht man im Leben nur einmal.
Das hält ihre Kollegen aber nicht von kühnen Plänen ab. Nach dem Motto „Nach dem Wettlauf ist vor dem Wettlauf“ wird schon der nächste Hindernislauf geplant. Im Dezember 2021 findet in Rudolstadt das Rennen „Getting Tough“ statt. Michael witzelt: „Wenn man barfuß bei kalten Fließen daheim schon einen Schnupfen bekommt, sollte man da nicht teilnehmen. Für diesen Lauf trainieren die Jungs schon mal bei Minustemperaturen barfuß im Schnee ohne T-Shirt oder in der Monbachschlucht.“