Vortrag im Studium Generale der Hochschule nimmt Gäste auf philosophische Reise zwischen Nachhaltigkeit und Freiheit mit.
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Energietechniken sind nicht per se gut oder schlecht. Das hat die Technikphilosophin Professorin Dr. Dr. Rafaela Hillerbrand am Mittwochabend, 17. Oktober 2018, beim Studium Generale an der Hochschule Pforzheim deutlich gemacht. Rund 400 Zuhörer im voll besetzten Walter-Witzenmann-Hörsaal (Audimax) der Hochschule folgten Hillerbrands Vortrag „Nachhaltigkeit: Was die Energiewende mit dem guten Leben zu tun hat“.
Die wissenschaftliche Leiterin Dr. Christa Wehner, Professorin für Markt- und Kommunikationsforschung an der Hochschule Pforzheim, begrüßte Hillerbrand als Forscherin mit beeindruckendem Lebenslauf. Rafaela Hillerbrand ist Professorin für Technikethik und Wissenschaftsphilosophie am ITAS, dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des KIT (Karlsruher Institut für Technologie). Nach ihrem Studium an der Universität Erlangen und der University of Liverpool, sowohl in Physik als auch in Philosophie, hat sie jeweils mit „summa cum laude“ promoviert. Ihr Arbeitsgebiet verbindet Erkenntnistheorie und Ethik. Es geht ihr zentral um die Frage, wie ethische Überlegungen in naturwissenschaftliche Forschung und technisches Gestalten integriert werden können, auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit. Das Thema Nachhaltigkeit ist besonderes Kennzeichen des strategischen Perspektivenwechsels an der Hochschule Pforzheim.
Dass es keine einfache Antwort auf die Frage gibt, was die Energiewende mit dem guten Leben zu tun hat, gab Hillerbrand dem Publikum gleich zu Beginn mit auf den Weg. Was das gute Leben schließlich ausmacht, ist ebenso schwer zu greifen. Es kann mal im Ansatz konkreter, mal abstrakter beleuchtet werden. In Hillerbrands Vortrag wird unter „gutem Leben“ in diesem Zusammenhang verstanden, dass das Wohlergehen einer Person eng mit ihrer Lebensweise und mit der Freiheit verbunden ist, sich für eine Lebensweise entscheiden zu können. Zentral sei dabei der sogenannte „Capability Ansatz“, der Verwirklichungschancenansatz. Das „gute Leben“ für einen Menschen werde demnach nicht daran festgemacht, was unter sozialen, ökologischen oder ökonomischen Gesichtspunkten für den Menschen gut sei. Der Ansatz geht vielmehr vom einzelnen Menschen aus und fragt nach seinen Fähigkeiten und seinen Verwirklichungschancen.
Ziel des Ansatzes sei es, den Wohlstand in einer Gesellschaft mit mehreren Aspekten zu analysieren. Im Vordergrund stehe eben die Frage, was der Mensch für ein gutes Leben brauche, so Hillerbrand. Was müsste sich an unserem Energiediskurs ändern, wenn wir Energie in den Dienst eines guten menschlichen Lebens stellen wollten? Die Philosophin stellt hierbei fest, dass Energietechniken nicht intrinsisch gut oder schlecht seien. „Jede Form der Energieumwandlung geht mit unerwünschten und nicht-intendierten Nebeneffekten einher“, sagt sie und zeigt dies an verschiedenen Beispielen auf. Der Aspekt der Umweltfreundlichkeit von Windenergie könnte zum Beispiel von Tierschutzinteressen konterkariert werden, beispielsweise bei Fledermäusen. Dieses Für und Wider bedeute auch, dass man – nach dem „Capability-Ansatz“ – nicht kategorisch sagen könne, Kernenergie sei schlecht. Vielmehr müsse man Energiesysteme als Ganzes betrachten.
Nachhaltigkeit ist nicht schwarz oder weiß
Interessant war außerdem zu hören, dass Proteste gegen Kraftwerke oder Windkrafträder viel weniger egoistisch motiviert seien, als allgemein angenommen. Bislang galt die sogenannte Bezeichnung „Nimby“ („Not in my backyard“ – nicht in meinem Hinterhof) als Erklärung für Bürgerproteste. Aktuelle Studien hätten jedoch gezeigt, dass dies so nicht stimme. In Wirklichkeit gebe es oft Werte, die in der Diskussion nicht berücksichtigt würden, zum Beispiel die Ästhetik der Landschaft oder der Verlust an Heimat.
Die Komplexität des an sich so einfachen Begriffs des „guten Lebens“ hat eines gezeigt: In der Frage, was nachhaltig ist und was nicht, gibt es nicht schwarz oder weiß. Vielmehr sind es die graustufigen Nuancen dazwischen, die das Individuum an diesen Begriff heranführen. Der gemeinsame Ausflug in die technikphilosophische Gedankenwelt des Ansatzes vom guten Leben wurde vom Publikum mit großem Applaus bedacht. Wie komplex das Thema ist, davon zeugten zahlreiche Diskussionen beim anschließenden Empfang im Foyer des Audimax.
Das Studium Generale setzt sein Programm am Mittwoch, 7. November, um 19 Uhr fort. Der nächste Vortrag lautet „Warum interessieren sich Google, Apple und Co. plötzlich für selbstfahrende Autos?“ Referent ist Dr. Volker Lüdemann, Professor für Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht an der Hochschule Osnabrück.
Quelle(n): pm