„Eine einfache Erklärung gibt es nicht“

7-Tage-Inzidenz und Corona-Statistikzahlen vom 23.10.2020 für den Enzkreis (Screenshot: Robert-Koch-Institut)

Gesundheitsamt erklärt, warum die Corona-Fallzahlen in der Region so dramatisch steigen.

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Der Enzkreis steht bei nahezu 200 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage, in Pforzheim sind es sogar deutlich über 300: „Bei diesen hohen Zahlen schaffen wir es nicht, die Kontaktpersonen aller Infizierten zeitnah abzutelefonieren und zu isolieren, um eine unkontrollierbare Weiterverbreitung des Corona-Virus zu verhindern“, betont Dr. Brigitte Joggerst, Leiterin des Gesundheitsamts: „Wir müssen daher mit allen geeigneten Mitteln gegensteuern, um die aktuell sehr angespannte Lage in den Krankenhäusern der Region nicht weiter zu belasten.“

Warum aber, so fragen viele Bürgerinnen und Bürger, steigen die Corona-Zahlen trotz fünf Wochen „Lockdown light“ und strenger Maßnahmen in der Stadt weiterhin an? Welchen Sinn haben die Maßnahmen, und gibt es besondere Schwerpunkte im Stadt- und Kreisgebiet? Das Gesundheitsamt gibt Antworten auf einige dieser Fragen.

Gibt es Häufungen bei den Fallzahlen?

Wir sind auf bereits erhöhtem Niveau in die zweite Welle gestartet. Das bedeutet, dass sich mehr Leute anstecken können. Dieser „Vorsprung“ gegenüber anderen Stadt- bzw. Landkreisen bleibt oder baut sich sogar noch aus.

„In unseren Statistiken sehen wir keine geografischen Schwerpunkte“, sagt Joggerst. Die Fälle in den Kreisgemeinden entsprächen fast durchweg der jeweiligen Einwohnerzahl. „Es gibt zwar immer wieder einzelne Abweichungen, aber da dies wechselt, sehen wir kein erkennbares Muster“, so Joggerst. Zu einem ähnlichen Ergebnis war man kürzlich im Verwaltungsstab der Stadt Pforzheim gekommen: Auch dort gibt es keine erkennbare Häufung in einzelnen Stadtteilen.

Hingegen zeigen die Zahlen des Gesundheitsamts, dass inzwischen wieder ganz massiv Menschen über 80 infiziert sind: „Noch im Oktober waren sie unterdurchschnittlich betroffen, was die Fallzahlen in Bezug zur Gesamtzahl dieser Altersgruppe betrifft“, sagt Joggerst. Seit November hingegen stiege die Inzidenz hier deutlich an, nicht zuletzt durch Ausbrüche in mehreren Seniorenheimen in der Region. Aktuell seien etwa 15 Heime betroffen. „Diese Entwicklung sehen wir natürlich mit großer Sorge, denn gerade die Ältesten haben ja ein besonders hohes Risiko für schwere und tödliche Verläufe einer Erkrankung“, sagt Wolfgang Herz, Erster Landesbeamter und Leiter des Enzkreis-Verwaltungsstabs.

Was ist mit den Jüngeren?

„Die 20- bis 29-jährigen waren im November überproportional vertreten“, berichtet Brigitte Joggerst – allerdings mit abnehmender Tendenz. Auch bei den Teenies zwischen 10 und 19 sei die Zahl nach einem Zwischenhoch Ende Oktober mittlerweile auf „Normalmaß“ zurückgegangen. Allerdings sei es möglich, dass der Rückgang zumindest zum Teil mit einer Änderung der Teststrategie zu tun habe: Seit Mitte Oktober werden bei einem Coronafall nicht mehr ganze Schulklassen in Quarantäne geschickt und getestet, sondern lediglich die direkten Nachbarn im Klassenzimmer.

Dennoch seien Schulen und Kitas wohl nicht die Hotspots der Pandemie, wie Joggerst erneut betont: Zwar gebe es positiv getestete Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte an 18 Schulen in Pforzheim und im Enzkreis – jedoch handele es sich insgesamt um nur 30 Personen. Noch weniger betroffen seien die Kitas in der Region: Hier hat das Amt aktuell lediglich zwei Einrichtungen auf der Liste – mit jeweils einem Fall. Ungleich größer ist hingegen die Zahl der Kontaktpersonen: Fast 200 sind es bei den Schulen, knapp 20 bei den Kitas.

Warum wirken die Maßnahmen nicht?

„Wenn wir auf diese Frage eine schlüssige Antwort hätten, würden wir entsprechend handeln“, kommentiert Wolfgang Herz. Tatsache sei, dass der teilweise Lockdown im November die zweite Welle vermutlich verlangsamt habe, sie aber nicht brechen konnte. „Das ist für uns besonders bitter, weil wir den Menschen in der Region noch viel strengere Beschränkungen auferlegen müssen.“

Ob diese nun den erhofften Erfolg bringen, „werden wir erst Ende nächster Woche sehen“, erklärt Dr. Joggerst: „Alle Maßnahmen haben einen langen Bremsweg, denn sie können sich nur auf zukünftige Infektionen auswirken, nicht aber auf Menschen, die das Virus bereits in sich tragen.“ So geht das Robert Koch-Institut (RKI) davon aus, dass die Inkubationszeit von Covid-19 bei fünf bis sechs Tagen liegt. Werden Betroffene dann getestet, vergeht nochmals Zeit, ehe dem Gesundheitsamt ein positives Ergebnis vorliegt. „Entsprechend schlagen sich neue Infektionen erst nach etwa zehn bis vierzehn Tagen in den Fallzahlen nieder; und so lange dauert es daher auch, bis Maßnahmen Wirkung zeigen“, so Joggerst.

Erschwerend komme hinzu, dass Infizierte das Virus auch dann weitergeben können, wenn sie gar nichts über ihre Infektion wissen. „Bereits zwei Tage vor den ersten Symptomen sind die Menschen ansteckend – und bei nicht wenigen verläuft die Erkrankung so mild, dass sie gar nichts davon wahrnehmen“, erklärt die Ärztin.

Welchen Sinn hat eine Ausgangssperre im Dezember?

Das Virus verbreitet sich überall dort, wo Menschen zusammenkommen. Besonders hoch ist das Risiko, wenn sich Menschen ohne Abstand und Maske treffen, wie dies in der Regel bei privaten Treffen der Fall ist. „Daher sind Maßnahmen wie die derzeit in Pforzheim geltenden Ausgangssperre sinnvoll, denn sie sind ein Signal an die Bevölkerung, dass man sich auch im privaten Rahmen am besten nicht treffen soll“, sagt Wolfgang Herz. Denn die zentrale Botschaft sei: „Es kommt auf das Verhalten der Menschen an, nicht auf die Ausgangssperre, wenn wir die 7-Tage-Inzidenz möglichst rasch wieder unter den Schwellenwert von 50 drücken wollen.“

Was ist die „7-Tage-Inzidenz“ und wie wird sie berechnet?

„Inzidenz“ ist ein anderes Wort für „Fall“ (eigentlich „Vorfall“). Mit Inzidenz ist also eine bestimmte Zahl an Vorfällen gemeint. Die tägliche Zahl an Neuinfektionen wäre demnach eine 1-Tages-Inzidenz. Da dieser Wert jedoch größeren Schwankungen unterworfen ist, weil zum Beispiel sonntags nur wenige oder gar keine Tests durchgeführt werden, wird in Deutschland die Zahl der neuen Fälle über einen Zeitraum von 7 Tagen betrachtet. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten hingegen rechnet mit den Zahlen für 14-Tage.

Um den Wert vergleichbar zu machen, wird diese Zahl mit der jeweiligen Einwohnerzahl ins Verhältnis gesetzt, denn es macht einen großen Unterschied, ob ein Landkreis mit 50.000 Einwohnern 400 Fälle meldet oder eine Großstadt mit einer Million. Man spricht dann von der 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner. Die Formel lautet: Summe der Neuinfektionen der letzten 7 Tage, dividiert durch die jeweilige Einwohnerzahl und multipliziert mit 100.000.

Diese Berechnung wird jeden Tag neu durchgeführt; dabei wird die Zahl der neuen Fälle hinzuaddiert, dagegen fällt die Zahl von vor acht Tagen aus der Berechnung heraus. Wenn also vor acht Tagen eine besonders hohe Zahl zu Buche stand, kann es sein, dass die 7-Tage-Inzidenz heute sinkt, obwohl der heutige Wert höher ist als gestrige.

Quelle(n): pm

Besim Karadeniz
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