Darf sich Politik in ihren Regierungsaufträgen aufgeben? Nein. Nur: Warum tut sie es gerade?
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Das Corona-Infektionsgeschehen in Deutschland, sagen wir es deutlich, ist eine Katastrophe ersten Ranges, die es so noch nicht im Nachkriegsdeutschland gegeben hat. Und während die ersten drei Infektionswellen im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern geradezu milde überwunden werden konnten, trifft die nun vierte Welle die Republik mit aller Härte. Wir haben es buchstäblich verkackt und die Kurven der 7-Tage-Inzidenzen sprechen für sich:
Schon jetzt, zu Beginn des exponentiellen Wachstums des Infektionsgeschehens, laufen die Krankenhäuser und vor allem die Intensivstationen dramatisch voll. Bedenkt man hierbei, dass sich schwere Covid-19-Erkrankungen mit mehreren Wochen Verzögerung nach einer Infektion entwickeln, beginnt die echte Dramatik an den Krankenhäusern erst jetzt und wird sich kaum noch aufhalten lassen. Das Damoklesschwert der so genannten Triage, also der schweren Entscheidung von Ärzten, wer noch potentiell gerettet werden kann und wer nicht, scheint in greifbarer Nähe.
Die gelähmte Republik
Während in den letzten Monaten eine mehr oder weniger resolute Entscheidungsfreude von Landesregierungen und Bundesregierung dafür sorgte, die bisherigen Wellen deutlich abzumildern, ist genau jetzt erschreckend wenig davon zu sehen. Die meisten Landesregierungen blicken nach Berlin, während genau dort das Regierungsviertel inmitten der Zeit zwischen alter und neuer Regierung steckt. Dabei schrillen ausnahmslos alle Alarmglocken seit Wochen und Monaten, warnen praktisch alle Experten vor genau der Situation, die jetzt eintritt.
Doch bleiben wir in Baden-Württemberg und dem völlig verfehlten Ansatz, weitere Einschränkungen im öffentlichen Leben davon abhängig zu machen, wie die Intensivstationen ausgelastet sind. Schon von Anfang an war klar, dass dieser neue Maßstab völlig falsche Signale in die Bevölkerung sendet. Voll geimpfte Personen wurden in die Illusion geschickt, dass sie nun alles machen könnten, weil sie nun vermeintlich auch vor einer Infektion geschützt seien. Dabei zeigte sich schon im Sommer, dass dies bei immer mehr vollständig geimpften Personen nicht so ist und der Impfschutz schon nach wenigen Monaten immer weniger wirksam ist. Sprich: Auch geimpfte Personen können sich anstecken und sie sind auch infektiös, wenn auch offensichtlich weniger lang und mit geringeren Symptomen. Was die Situation auf gesellschaftlicher Ebene nicht weniger gefährlich macht, da es noch genügend Ungeimpfte gibt.
Nun stecken wir in der entsetzlichen Situation, dass wir für eine landesweite 2G-Regelung einfach noch zu wenig Schwerkranke in den Intensivstationen des Landes liegen haben, obwohl die Neuinfektionskurve inzwischen so steil ansteigt, wie noch nie in dieser Pandemie. Frühestens Mittwoch nächster Woche könnte es soweit sein, dass Ungeimpfte mit verschärften Einschränkungen im öffentlichen Leben rechnen müssen. Die schon da nicht mehr ausreichen dürften und für die Bekämpfung des Infektionsgeschehen auch viel zu spät kommen.
Und dann geht es erst richtig los, wenn die Politik nicht noch beherzt einschreitet: Die Zeit der Weihnachtsmärkte kommt, Weihnachtsfeiern stehen an, Familientreffen werden organisiert und dann steht noch, quasi zur Krönung der Situation, die Aufhebung der „Epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ an. Nach uns die Sintflut. Während wir dann feiern, heißen Glühwein trinken und gemütlich Nüsse knacken, werden einige Kilometer weiter in den Krankenhäusern rund um die Uhr Dramen ablaufen, die wir bisher nur aus Katastrophenfilmen kennen.
Die Impfkampagne, die inzwischen zaghaft eine wird
Ob man überhaupt bisher von einer Impfkampagne sprechen kann, ist diskutabel. Erfolgreich war sie jedenfalls nicht. Noch immer sind gut ein Drittel aller Menschen in Deutschland ohne vollständigen Impfschutz. Baden-Württemberg spielt allenfalls im Mittelfeld der Bundesländer mit und Pforzheim macht weiterhin die rote Laterne unter den baden-württembergischen Kreisen mit 58,1 Prozent vollständig Geimpften (gemessen am 7. November 2021). Immerhin – Pforzheim bessert sich. Die nächstschlechtesten Kreise – Heidenheim mit 58,8 Prozent und Tuttlingen mit 59,6 Prozent – sind inzwischen in erreichbaren Weiten.
Nur: Es hilft uns kaum noch, um die nun hereinbrechende vierte Welle auch nur ansatzweise abzumildern. Es müssten innerhalb weniger Tage mehrere zehntausend Menschen geimpft werden und dazu kommt dann noch, dass immer stärker die Erkenntnis wächst, dass erst mit einer dritten Impfung zu Beginn der Erkältungssaison ein adäquater Schutz aufgebaut werden kann. Was Israel seit einigen Wochen eindrucksvoll vormacht, hat man in Deutschland schlicht verschlafen. Und das wird man mangels Impfzentren auch nicht mehr aufholen können.
Die brandgefährliche Haltung – auch in Pforzheim – dass Impfung vor allem eine Privatsache ist, zeigt nun fatal, dass das in einer Pandemie eben nicht der Fall ist. Impfung ist immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Was tun?
Sich aus eigener Initiative so gut wie möglich zu schützen, ist die Devise der Zeit. Dazu gehört in erster Linie, sich nicht nur auf die Empfehlungen zu verlassen, sondern auch konkret das zu tun, was von Anfang die Gebote der Zeit darstellen: Kontakte verringern, konsequent Masken tragen, Hände desinfizieren und nach dem Impfschutz von sich selbst und der Familie schauen. Und mit Argusaugen zuschauen, kein Fall für das Krankenhaus zu werden, um das dort kommende Elend nicht weiter zu verschärfen.